Ein Mutmacher im zähen Abstiegskampf

Solche Geschichten schreibt wohl nur der Sport: Beim 21:26 am Donnerstag musste der finanzstarke und ambitionierte Handball-Erstligist MT Melsungen dem Abstiegskandidaten TVB Stuttgart im vierten Aufeinandertreffen hintereinander die Punkte überlassen. Gibt es ihn also tatsächlich, den viel beschriebenen Angstgegner?

Im Vorfeld hatten sich die Melsunger jedenfalls ausgiebig Gedanken darüber gemacht, weshalb sie mit dem TVB nicht klarkommen. „Stuttgart ist für uns wie eine schwarze Katze“, hatte der MT-Torhüter Nebojsa Simic philosophiert. Der ehemalige Handball-Profi und promovierte Sportwissenschaftler Alexander Koke nahm sich des Angstgegner-Phänomens an. Wichtig sei, die Aufgabe gegen den TVB nicht als Bedrohung zu sehen, sondern als Herausforderung, erklärte Koke in der Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen. Positive Gedanken sollten in die Köpfe der Spieler. „Wir wollen richtig einen raushauen gegen Stuttgart“, sagte dann auch Julius Kühn.

Funktioniert hat es wieder nicht, entsprechend bedient war Kühns Nationalmannschaftskollege Finn Lemke nach dem Spiel. „Wir verlieren viermal nacheinander gegen ein Team, das wir schlagen müssen“, sagte der Abwehrstratege. „Das ist nicht mit unseren Zielen kompatibel.“

Für Melsungen war die unerwartete Pleite ein Rückschlag im Kampf um einen Europapokal-Platz. Für den TVB war der erste Sieg seit dem 12. Dezember ein bedeutender Schritt im nervenaufreibenden Abstiegskampf. Die Art, wie sich die Stuttgarter in Kassel präsentierten, macht jedenfalls Mut. Hervorragend eingestellt von Trainer Jürgen Schweikardt, nervte der TVB den Gegner über 60 Minuten hinweg, ging leidenschaftlich und abgezockt zu Werke. „Es ist schwer, einen aus dem Team herauszuheben“, sagte Schweikardt. Prunkstück war die Deckung im Verbund mit dem wieder überragenden Johannes Bitter.

Jeder stand parat, wenn er gebraucht wurde. Auch Spieler, die zuletzt nicht überzeugten, trugen ihren Teil zum Erfolg bei. „Max Häfner hat das Spiel super gesteuert“, so Schweikardt. Und er gewann das Bruderduell mit Kai Häfner, den die TVB-Abwehr komplett abmeldete. Kurz vor Spielschluss gab’s eine Schrecksekunde, als Max Häfner vom Spielfeld humpelte. Schon kurz danach kam die Entwarnung: Er hatte lediglich einen schmerzhaften Schlag auf den Oberschenkel abbekommen.

Viel Zeit zur Regeneration bleibt Häfner und dem TVB nicht: Bereits am Sonntag (16 Uhr) geht’s mit dem Flugzeug nach Kiel, wo der Rekordmeister die Tabellenführung verteidigen möchte. Die Zebras sind drauf und dran, die kleine Flaute von vier Jahren ohne Meisterschaft zu beenden. Zwölf Spiele vor Rundenende liegen sie mit 36:8 Punkten an der Tabellenspitze. Bei zwei bis fünf Zählern Rückstand darf sich die Konkurrenz zwar noch Hoffnungen machen. Für den THW spricht jedoch, dass er den stabilsten Eindruck aller Teams macht. Nur vier Niederlagen stehen zu Buche – gegen die Meisterschaftskonkurrenten Magdeburg (31:32), Rhein-Neckar Löwen (25:26) und Füchse Berlin (28:29) jeweils mit dem knappsten Resultat. Einen Ausrutscher gab’s beim 20:27 in eigener Halle gegen die HSG Wetzlar. Unter der Woche zog Kiel mit dem 29:28-Sieg gegen Veszprem ins Viertelfinale der Champions League ein.

Der TVB Stuttgart spielte in dieser Saison schon zweimal gegen die Zebras. Im Viertelfinale des DHB-Pokals zitterte sich Kiel im Dezember zum 35:34-Sieg. Im Punktspiel ein paar Tage später hielten die Stuttgarter eine Dreiviertelstunde mit bis zum 19:20, mussten sich aber letztlich deutlich mit 21:29 geschlagen geben. Auch im einen oder anderen der acht Erstliga-Begegnungen zuvor machte der TVB gegen den Favoriten eine ordentliche Figur, es setzte allerdings auch so manche Schlappe. Ein Angstgegner sind die Stuttgarter also nicht für Kiel, und Schweikardt kann die Lage richtig einschätzen. „Für uns geht es darum, dass wir die Gelegenheit haben, unsere Abwehr weiter zu festigen. Und das auf höchstem Niveau.“

Damit sein Team gerüstet ist für die vier aussichtsreichen Heimspiele in Folge.

Quelle: Thomas Wagner / ZVW